Die Energiepreisbremsen in Deutschland sind ausgelaufen, die dadurch verdeckten Probleme kommen wieder zum Vorschein. Auch der Fernwärmemarkt kehrt zurück zu alten, schlechten Gewohnheiten.
Der Fernwärmemarkt in Deutschland ist von Monopolen geprägt. Nach einer Untersuchung der Verbraucherzentralen steigen nach dem Ende der Energiepreisbremse nun in einigen Netzen die Preise. Warum, weiß niemand so genau und darin sehen die Verbraucherschützer das Hauptproblem. „Obwohl es sich bei Wärmenetzen um natürliche Monopole handelt, erfolgt nach wie vor keine systematische Kontrolle der Preise und der Preiszusammensetzung in diesem Sektor“, moniert der Bundesverband VZBV.
Seit Anfang 2023 beobachtet der VZBV die Preisentwicklung in 31 Fernwärmenetzen in Deutschland. Nachdem die während der Energiekrise eingeführten Preisbremsen die Kosten in vielen Netzen zunächst eingedämmt hatten, ist laut der aktuellen Untersuchung im ersten Quartal wieder eine Entkopplung der Preisbildung zu beobachten.
Während der effektive Kilowattstundenpreis für einen Haushalt in einem typischen Mehrfamilienhaus den Angaben zufolge in Leipzig seit Jahresbeginn von 17 auf 20 Cent gestiegen ist, sank er in Stuttgart von 22 auf 17 Cent. In dieser Summe sind eine Vielzahl von Einzelposten wie Grundpreis, Leistungspreis, Messpreis, Arbeitspreis, Emissionspreis, Gasspeicherumlage, Ablesekosten und andere Parameter enthalten. Transparenz? Fehlanzeige, findet der VZBV und fordert Änderungen: „Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist die Preisgestaltung im Fernwärmemarkt eine Blackbox“, kritisiert Vorständin Ramona Pop. Die Kunden erwarten faire Preise und müssen Preisänderungen nachvollziehen können.
Betreiber kleinerer Netze bitten Kunden stärker zur Kasse
Die Stichprobe der Verbrauchszentralen ist in große und kleine Netze unterteilt, um den unterschiedlichen Kostenstrukturen in klassischen Fernwärmenetzen und kleineren Nahwärmenetzen Rechnung zu tragen. Während große Netze beispielsweise durch Müllheizkraftwerke mit Energie versorgt werden, geschieht dies in Nahwärmenetzen unter anderem durch Blockheizkraftwerke oder erneuerbare Energien. Der VZBV hat daher für jedes Bundesland je ein Beispielnetz ausgewählt.
Der Blick auf die Daten lässt viele Fragen offen. Während in Städten wie Erfurt und Saarbrücken die preisdämpfende Wirkung der staatlichen Preisobergrenze von 9,5 Cent pro Kilowattstunde auf den Arbeitspreis im Jahresverlauf 2023 deutlich zu erkennen ist, stiegen die Gesamtkosten in Köln im zweiten und dritten Quartal ohne erkennbaren Grund stark an.
Insgesamt lässt sich sagen, dass Betreiber kleinerer Netze ihre Kunden stärker zur Kasse bitten als Betreiber größerer Netze. Aber auch hier zeigt sich ein sehr heterogenes Bild. Während im schleswig-holsteinischen Barsbüttel die Kosten über das gesamte Jahr 2023 konstant bei rund 38 Cent liegen, sinken sie im ersten Quartal auf rund 24 Cent. Umgekehrt ist die Entwicklung im baden-württembergischen Reutlingen: Nach konstant 20 Cent im vergangenen Jahr explodierte der Preis zwischen Januar und März 2024 auf 35 Cent pro Kilowattstunde Wärme.
Das Thema Fernwärme hat im Zuge der hitzigen politischen Debatte um die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes an Bedeutung gewonnen. Großstädte haben bis 2026, kleinere Kommunen bis 2028 Zeit, einen kommunalen Wärmeplan vorzulegen, der den Bürgerinnen und Bürgern Planungssicherheit gibt: Kann ich mein Haus an ein Fernwärmenetz anschließen lassen oder nicht?
Aus Sicht der Verbraucherzentralen hilft diese Gewissheit allein jedoch wenig, wenn die Preisentwicklung nicht auf Basis transparenter Daten eingeschätzt werden kann. Deshalb fordern sie die Einführung eines bundesweiten Wärmenetzregisters und einer darauf aufbauenden Wärmenetzkarte. Außerdem sollten die Monopolisten staatlich an die kurze Leine genommen werden.
Der VZBV wünscht sich eine unabhängige Bundesbehörde, die die Preise im Fernwärmemarkt anhand umfassender und regelmäßiger Kontrollen überwacht und bei Missbrauch einschreitet. Das Bundeskartellamt ist dieser Aufgabe aus Sicht der Verbraucherschützer derzeit offenbar nicht gewachsen, weshalb sie selbst aktiv werden: Gegen zwei Versorger, E.On und HanseWerk Natur, geht der Bundesverband wegen ihrer Preispolitik per Sammelklage vor.
Das Bundeskartellamt teilt auf Anfrage mit: „Aufgrund der regionalen Wärmenetzstrukturen liegt die Zuständigkeit für Fernwärme grundsätzlich bei den Landeskartellbehörden.“ Ganz aus der Verantwortung will sich die Behörde unter Präsident Andreas Mundt dann aber doch nicht stehlen und verweist auf das seit November laufende Pilotverfahren gegen insgesamt sechs Stadtwerke und Fernwärmeversorger wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Preiserhöhungen.
Konkret beanstandet die Behörde die Auswahl der Preisindizes, die zur Ermittlung der Energiekosten herangezogen werden. Diese sollen je nach Energieträger, den die Fernwärmeversorger einsetzen – insbesondere Gas, Kohle, Holz oder Müll – die Einkaufspreise widerspiegeln, die die Energieversorger beim Einkauf zu tragen haben. Das Bundeskartellamt hat in den geprüften Fällen jedoch den Verdacht, dass die Auswahl von der tatsächlichen Kostenentwicklung abgekoppelt ist und die Kunden daher mit überhöhten Rechnungen konfrontiert wurden.
Diesen Vorwurf hält auch Energierechtsexperte Werner Dorß für gerechtfertigt: „Der Skandal ist, dass die meisten Fernwärmeanbieter nicht die Brennstoffe oder Energieträger abrechnen, die sie tatsächlich konkret vor Ort einsetzen. Oft nehmen sie für die Kalkulation einen deutlich teureren Brennstoff, um die Marge zu erhöhen“, sagte er zuletzt im Interview mit der WirtschaftsWoche.
Mangel an Regulierung im Fernwärmemarkt
Dem Experten zufolge fehlt dem Bundesamt derzeit schlicht das Personal, und da die Kompetenzen der Behörde erst kürzlich erweitert wurden, müssten sich die Verantwortlichen erst in die komplexe Materie einarbeiten. Insgesamt sieht Dorß – wie auch die Verbraucherzentralen – einen Mangel an gesetzlicher Regelung und Regulierung im Fernwärmemarkt. Bisherige Gesetzesvorstöße des Bundes seien in der Vergangenheit regelmäßig im Bundesrat gescheitert, der Grund: die Quersubventionierung kommunaler Haushalte.
Die Fernwärmeanbieter sind oft in kommunaler Hand, für die chronisch klammen Kämmerer in den Rathäusern eine Versuchung, der sie nicht widerstehen können: „Ohne die Gewinne aus der Fernwärme müssten die Gemeinden an anderer Stelle einsparen. Der Fernwärmekunde bezahlt quasi den defizitären öffentlichen Nahverkehr, das teure neue Schwimmbad oder die Eissporthalle“, erklärt der Energieexperte. Ziel der Bürgermeister sei es daher, Reformen durch geschicktes Lobbying bei ihren Landesregierungen zu verhindern.
Ob sich daran zeitnah etwas ändert, ist fraglich. Bislang bleibt Kartellamtspräsident Mundt nur der Weg mahnender Worte, wie zuletzt Anfang April bei der Übernahme des Berliner Fernwärmenetzes von Vattenfall. „Im Zuge der angestrebten Wärmewende soll die Bedeutung der Fernwärme deutlich zunehmen. Für die Akzeptanz dieser Entwicklung ist es wichtig, dass der Fernwärmeversorger seine marktbeherrschende Stellung nicht missbraucht, unabhängig davon, ob das Fernwärmenetz in öffentlicher oder privater Hand steht.“